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Bundespräsident a.D. Joachim Gauck: ein Glücksfall

Ein grauer Novembertag, leichter Niesel, kalte Luft und Klausurenphase. Und doch herrscht freudige Anspannung unter den Schülerinnen und Schülern des GLH. Es ist ein besonderes Gefühl, wenn man auf eine Persönlichkeit vom Format des Altbundespräsidenten Joachim Gauck wartet: Angekündigt ist er für elf Uhr, bereits seit vierzig Minuten nehmen Personenschützer des BKA die Räumlichkeiten des Melbecker Gymnasiums in Augenschein. Dann heißt es: Die Limousine fährt vor.

Der Besuch des Altbundespräsidenten hatte sich spontan ergeben. Es gab kaum Zeit zur Vorbereitung. Er wird vor dem elften und zwölften Jahrgang des Gymnasiums sprechen, ein kleiner Kreis, in dem sich eine konzentrierte und intime Gesprächsatmosphäre ergeben wird. Das Gespräch moderieren mit Jule Grabowski und Ole Knüpfer eine Schülerin des zwölften und ein Schüler des elften Jahrgangs.

Gauck beginnt auf die erste Frage hin aus seiner Kindheit zu berichten. Die Verschleppung des Vaters in ein sibirisches Arbeitslager 1951 habe natürlich seine oppositionelle Haltung geprägt. Die Ablehnung der Diktatur und die hohe Bedeutung, die Gauck der Freiheit zumesse, gehörten zusammen. Später wird er hieran wieder anknüpfen, wenn er erläutert, dass Freiheit für ihn nicht nur die Abwesenheit von Zwang bedeute, sondern auch die Freiheit zur aktiven Gestaltung des sozialen Miteinanders, politisch, kulturell oder im Sportverein. Er bringt dies auf die prägnante Formel: Wer wahlfähig in Bezug auf neue Sneakers sei und dafür ausgiebige Überlegungen anstellen könne, müsse dies auch für die Bürgermeisterwahl sein.

Fast intim wird es, als er den Schülerinnen und Schülern die Frage beantwortet, wie es in einem autoritären System gelingen könne, den Mut zur Dissidenz zu finden. Durch seine frühe Kindheit habe er ein inneres Einssein, eine innere Stärke mitbekommen. Diese habe ihn dazu befähigt, auch als einzelner in einer Gruppe eine andere Meinung vertreten zu können. Natürlich war dies mit Gefahr und Nachteilen verbunden: „Si tacuisses, philosophus mansisses“, schrieb ihm sein Lateinlehrer ins Heft. Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben. Auch sein Traum eines Germanistikstudiums konnte sich unter diesen Umständen nicht erfüllen. Ungemein plastisch macht er den Anwesenden die Bedeutung einer freiheitlichen Ordnung bewusst und gibt gleichzeitig als Zeitzeuge einen tiefen Einblick in die Mechanismen autoritärer Regime: Die Auseinandersetzung mit der Stasi habe ihm, gleichsam wie das Öffnen der Rückseite einer Uhr ihr Räderwerk sichtbar werden lässt, den Unterdrückungsapparat der DDR erkennen lassen.

Über einen Schülerfrage in Anlehnung an einen seiner Buchtitel, „Toleranz: einfach schwer“, was denn Toleranz einfach schwer mache, freut Gauck sich besonders. Das sei so eine Sache. Wenn uns das Fremde positiv erscheine, sei Toleranz nicht so schwierig. Anders sehe es schon aus, wenn das Fremde unseren Wertmaßstäben entschieden zuwiderlaufe. Dann sei aktive Auseinandersetzung nötig, bei der es aber natürlich zivilisiert zugehen müsse. Mit klugen und konkreten Beispielen gelingt es ihm, seinen Zuhörern seinen anspruchsvollen Toleranzbegriff näherzubringen. Dazu gehöre nun einmal auch der Streit. Streit nach zivilisierten Regeln sei schließlich ein Wesensmerkmal der Demokratie.

Freiheit, Toleranz, Bürgerpflicht zur aktiven Gestaltung der Gesellschaft, Mut zur kultivierten Debatte: Schöne Werte, um die Schülerinnen und Schüler an diesem Tag mit ihnen im Gepäck nach Hause zu schicken.

Zum Abschluss überreicht er als Geschenk ein signiertes Exemplar seiner Memoiren „Sommer im Winter, Frühling im Herbst“ für die Schulbibliothek. Es trägt die Widmung: Den Schülerinnen und Schülern des GLH. Es wird sicherlich viel gelesen werden.

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